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Weinstock aus Sturms Flora von Deutschland, Band 7: Kreuzdorngewächse – Tafel 24
Weinstock, Vitis vinifera
Tafel 24:
a) Blütenstand in nat. Gr.;
b) Knospe, vergr.;
c) Blüte, vergr.;
d) Staubgefässe, Honigdrüsen und Fruchtknoten, vergr.;
e) durchschnittene Blüte, vergr.;
f) Fruchtstand, verkl.;
g) Same, vergr.
Haushoch. Stämme mit streifig absplitternder Rinde. Zweige stielrund. Die einzelnen Axen, welche die Zweige zusammensetzen, sind ein- bis siebenblättrig, dem letzten Blatte jeder Axe steht die Ranke gegenüber, welche diese Axe abschliesst. Ranken meist mit einem einfachen Zweige in der Achsel eines Hochblattes, zuweilen stärker verzweigt (dreigabelig) oder zu beblätterten Zweigen ausgewachsen („Zwillen“). Blätter mehr oder weniger tief drei- oder fünflappig und grob gesägt, ausnahmsweise fünfzählig zusammengesetzt (Petersilienwein), unterseits, namentlich anfangs, meist mit spinnwebähnlichem weissem Filz. Blütenstände („Samen“, „Gescheine“) rispenförmig mit doldenförmigen Zweigen, nicht selten sind einzelne Zweige als Ranken entwickelt. Blumen grün, wohlriechend. Früchte grün oder blau, seltener gelblich oder rötlich. 6-7, einzeln später. (Synonyme: Rebstock, Rebe.)
Uralte Kulturpflanze, im linksrheinischen Gebiet seit mindestens 1600 Jahren, im Nordosten seit etwa 600 Jahren bekannt, ist aber möglicherweise schon in vorrömischer Zeit von Galliern im heutigen Südwestdeutschland gebaut gewesen.
Der Anbau im grossen ist auf wenige Landstriche beschränkt; ihm dienen ungefähr 135.000 ha, namentlich im Elsass über 26.000, in Baden über 20.000, in Württemberg etwa 22.000 (davon 15.500 im Neckarkreis), in der Pfalz 14.000, in Rheinhessen fast 12.000, in Lothringen 6000, im Reg.-Bez. Trier über 4000, Coblenz 10.000, Wiesbaden über 3600, in Unterfranken fast 10.000, im südlichen Teile der Provinz Sachsen fast 1000 und im Reg.-Bez. Liegnitz fast 1500, der Rest verteilt sich auf das übrige Süd- und Mitteldeutschland nordwärts bis Bonn, Frankfurt a. d. Oder und Posen. In den Weinbergen hält man die Pflanzen ganz niedrig und bindet die heurigen Triebe an Pfähle, selten (besonders im Elsass) zieht man meterhohe, ebenfalls durch Pfähle gestützte Stämme. An Lauben und Spalieren kultiviert man den Weinstock bis an die Nordgrenzen des Reiches, und an der Ostsee bringt er noch keimfähige Samen. Bei Strassburg im Elsass liess man stellenweise noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Weinstöcke frei und unbeschnitten an Bäumen wachsen.
Die Rassen des Weinstocks waren schon im Altertume zahlreich wie der Sand am Meer. Die Qualität des Weines ist nicht allein von der Traubensorte, dem Boden und Klima, sondern in hohem Masse auch von der Hefe abhängig.
Hauptschädlinge des Weinstocks sind: Die Reblaus (Phylloxera vastatrix), neuerlich aus Amerika eingewandert; die Schildlaus (Lecanium vitis), der Traubenwickler (Conchylis ambiguella; die Raupe der Frühjahrsgeneration heisst Heuwurm, die der Herbstgeneration Sauerwurm), Springwurmwickler (Tortrix pilleriana), einige kleine Rüsselkäfer, Wespen und Vögel. Von Pilzen sind besonders zu nennen der Traubenschimmel (Oldium oder Erysiphe Tuckeri, Aescher), welcher um die Mitte des 19. Jahrhunderts einwanderte, und der Mehltau (Peronospora viticola) der Blätter. Gegen den Traubenschimmel wendet man Schwefel, gegen den Mehltau die Bordeauxbrühe (Kupfervitriol mit Kalk) erfolgreich an. Von der Reblaus befallene Weinberge werden vernichtet. Auf amerikanische Reben (V. labrusca) gepfropfte Weinstöcke leiden durch die Reblaus weniger. Zum Fange der Wickler stellt man von Klebstoffträgern umgebene Laternen in den Weingärten auf.
Die Weingewinnung in Norddeutschland war notwendig, solange die christliche Geistlichkeit unbedingt reinen Traubenwein gebrauchte, und die schlechten, unsicheren Wege dessen Einfuhr nicht gewährleisteten. In dem jetzt im Norden vorherrschenden lutherischen Kultus legt man auf die Reinheit des Weines kein schweres Gewicht.
Das Vorkommen wirklich verwilderter, d. h. ausserhalb des Kulturlandes aus Samen aufgegangener und selbst Samen tragender Weinstöcke ist in Deutschland nie festgestellt, obwohl die Vermutung nahe liegt, dass Vögel die Früchte verschleppen. Aus verlassenen Kulturen stammende Rebstöcke sind in den Weingegenden und in Gegenden, die den Weinbau unlängst aufgegeben haben, nicht allzu selten. In der oberrheinischen Ebene kennt man seit Jahrhunderten starke Weinstöcke in den Wäldern, gegenwärtig sind solche ziemlich selten, ihre Früchte werden selten reif.
Das Artenrecht des Weinstocks ist nachzuprüfen. Nachweise, von wo und wann die jetzt kultivierten Sorten eingeführt wurden, können als Beiträge zur Lösung dieser Frage wichtig werden.
Aus: J. Sturm’s Flora von Deutschland, Nachdruck nach 1900 mit Chromolithographien (Ernst H. L. Krause: Schriften des Deutschen Lehrer-Vereins für Naturkunde).