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Ledermüllers Ergänzungen, XVI. Brief

XVI. Brief

Ich habe die Ehre, Ihnen hier eine physikalische Beobachtung mitzutheilen, die gewiß nicht gemein ist. Ich nahm mir die ehrfurchtsvolle Freiheit, sie wegen ihrer Seltenheit, Serenissimo Selbsten unterthänigst vorzulegen. Sollen Sie nicht darnach begierig sein? Ich glaube es, und übersende Ihnen also die ganze Erzehlung, vom Anfänge bis zum Ende, wie ich sie, nebst der Beschreibung meiner damit angestelten Versuche und der gefertigten Abzeichnung, derselben, zu Hochfürstlichen höchsten Handen eingesendet habe.
Den 9. Oktober 1761. Abends gegen 6. Uhr, überschickte mir des Herrn Prediger Vogels Hochwürden alhier, mein hochzuverehrender Gönner, wie Ihnen die
XXXIII. Tafel zeiget, eine leichte, runde, und sehr dunkelbraune Kugel,
mit der Nachricht, daß man sie, nebst noch 14. andern von eben dieser Größe, in einem geschlachteten Lamme gefunden hatte. Ich möchte dieselbe bei Gelegenheit näher untersuchen, und meine Gedanken dankbar mittheilen.
Da mir auf meine Anfrage erlaubt wurde, diese Kugel zu zerschneiden; so nahm ich noch selbigen Abend die Untersuchung, als einen sehr angenehmen Zeitvertreib meiner einsamen Stunden, vor die Hand, und wünschte nichts mehrers, als nur noch eine einige davon zu bekommen, um sie in das Hochfürstliche Naturalienkabinet nach Baireuth zu verschaffen.
Ich war so glücklich, mehr, als ich wünschte, zu erhalten. Dann an eben diesem Abend wurden mir noch zwei Stücke derselben überbracht, davon ich die eine, weil ich iezo 3. hatte, zu erstgedachter Bestimmung verwendete, die andere meinem hochgeschätzten Arzt und Gönner Titl. Herrn Hofrath Trew überlies, und die dritte für mich zur genauesten Untersuchung behielt.
Was nun die äuserliche Gestalt dieser Kugel betrift, so wäre sie bei nahe völlig rund, und mehr glat, als rauh. Die Farbe ist schwarzbraun; ihr Gewicht aber, bei ihrer ziemlichen Größe, welche die erste Figur der XXXIII. Tafel lehret, sehr geringe, und kaum eine Unze schwer.


Als ich ihre oberste Fläche mit einem guten Suchglase betrachtete; so war ihre Farbe schwarzgrün, mit etwas braun vermischt. Hieraus zog ich die Folge, daß die Galle das meinste zu dieser äusersten Rinde müsse beigetragen haben, welche übrigens aus vielen flachen und aufeinander geleimten Schuppen, oder Lamellis übereinander geschoben, und zusammengebalt zu sein schiene.
Ich übergehe hier, um nicht weitläuftig zu sein, alle diejenigen Urtheile und Meinungen, welche von verschiedenen guten Freunden über das Wesen und die Beschaffenheit dieser Kugel, ehe ich sie zertheilte, gefället worden sind. Derjenige, welcher dem Ziele am nahesten kam, hielt sie für eine Gemsenkugel, oder Aegagropilam; wie ich sie denn ebenfals, sobald ich sie in die Hand brächte, und nach dem Gewichte beurtheilte, für eine Haarkugel, dergleichen man zum öftern in Rindern, Kühen, Kälbern, Pferden, Schweinen, wie auch in den Gemsen findet, erklärt habe.
Als ich sie mit einem sehr scharfen Messer in der Mitte durchschneiden wolte, muste ich alle meine Stärke anwenden; und es kam mir vor , als ob ich einen eben so dicken Hutfilz vor mir hätte. Die innere Substanz sah auch einem ungefärbten feinen Filze so ähnlich, als ein Ey dem andern.
Ich machte aus der einen Hälfte abermals zwei Theile, und legte ein Viertel davon unter die Glocke meines Suchglases. Dieses lies mir deutlich eine Rinde erkennen, deren Substanz viel vester und compacter war als der mittelste Theil, welcher mir sehr kurze und feine Haare zeigte. Ich nahm etwas von der Mitte heraus, und untersuchte ein Stückchen so gros, als eine Linse, durch alle Vergrößerungen, bis ich endlich vollkommen überzeugt wurde, daß das ganze Wesen dieser Kugeln aus kurzen vest zusammen gebalten Wollentheikchen bestehe.
Sie hatten zum Theil Markröhren, wie die Haare, und waren aber nicht mit derienigen nezförmigen äusersten Haut umgeben, welche man gemeiniglich an den Haaren siehet; sondern gleichsam außen mit kleinen Schuppen bedeckt.
Endlich versuchte ich es, diese Masse zu erweichen , um die Beschaffenheit der äusersten Rinde näher zu erkennen; allein alle meine Bemühungen waren vergebens. Ich kochte zuerst ein Viertel dieser Kugel im ungesalzenen, und dann im stärksten Salzwasser.
Ich legte es 24. Stunden und länger in eine Schaale mit Wasser, eiin anderes Stücks in Oel, und dann in Essig; aber auch dieses war umsonst. Nichts konte ihre Härte auflösen, und ich verwahre diese Rinde noch zum beständigen Beweis ihrer Vestigkeit, und zwar, wie mich dünkt, durch diese Versuche noch vielmehr erhärtet, als sie zuvor gewesen ist. Nach dem Schluße meiner Untersuchungen bemühte ich mich, eine nähere Nachricht von dem Fleischer zu erhalten, der das Lamm geschlachtet hatte, in welchem diese Kugeln befindlich waren. Diese wurde mir folgendermaßen mitgetheilt.
Der hiesige Bürger und Meister des Mezger- oder Fleischerhandwerks, N. N. Baldauf, schlachtete den 9. Oktober ein Lamm, das drei Viertel Jahre alt war, und in der Gegend des Nürnbergischen Städtleins Herrspruck, in Aalfeld, erkauft wurde. Es war nicht länger, als 8. Tage in feinem Stalle, wo es zwar bei mehrern Schaafen aber bei keinem andern Schlachtviehs gelegen ist. Es hat bis an den lezten Tag gerne gefressen und gesoffen, und nicht das geringste Zeichen einer Krankheit merken lassen. Als er es geöfnet, hat er 14. solcher Kugeln in dem Wanste desselben gefunden; die funfzehende aber, die nicht rund, sondern ungleich gewesen, ist noch in einem Darm gesteckt.
Von ihm und allen seinen Mitmeistern ist noch niemals ein solches Lamm geschlachtet worden, in dessen Gedärmen, Wanst, oder Magen man eine, geschweige dann mehrere dergleichen Kugeln gefunden hätte ec.
Aus dieser Nachricht habe ich wenigstens abnehmen können, daß eine so gross Anzahl von Haarkugeln, welche doch am Gewichte bei nahe ein Pfund betragen haben, dem noch so jungen Thiere nicht schädlich gewesen sey.
Vermuthlich aber würden sie in der Folge eine tödtliche Würkung nach sich gezogen haben, da die Consistenz dieser Kugeln von einer so harten Beschaffenheit gewesen ist, daß sie nicht erweicht werden konte.
Nun ist die Frage: Wie sind diese Kugeln in dem Leibe des Lammes entstanden? Ich wage es, meine Meinung hierüber am Schlusse mit anzufugen.
Ich glaube, daß sie mit der Erzeugung der Gemsenkugeln einerlei Ursache und Ursprung haben.
Jene entstehen durch das ablecken der Haare, wann sich die Gamsen hären. Von der Zunge bringen sie solche durch das Wiederkauen in kleinern Theilchen in die Gedärme, wo sie rund werden, und dann in den Magen kommen.
Dieses Lamm kan ebenfals seine eigene erste Wolle abgeleckt, durch das Wiederkauen klein gemacht, und dann in die Gedärme und den Wanst gebracht haben.
Vielleicht ist es auch bei andern oder wohl gar bei geschornen Schaafen gelegen. Und wer weis nicht, daß die Schaafe alle salzichte Feuchtigkeiten lieben, und daher den Schweis gerne lecken?
Wann nun, wie jedermann glauben wird, geschorne Schaafe in einem warmen Stalle stark duften und schwizen; so war es leicht möglich, daß dieses Lamm, welches ohne Zweifel bei seiner Mutter zwischen andern gelegen ist , die geschorne duftende Haut derselben, und zugleich die von der Schur auf dem Felle liegend gebliebene kurze Wolle mit abgeleckt habe, welche sich nach und nach in den Gedärmen zu Kugeln gebalt, von der Galle und dem Schleim mit der so harten Rinde überzogen, und endlich an den Ort gebracht worden ist, wo sie der Fleischer gefunden hatte.
Dieses sind meine Gedanken. Sie scheinen mir wahrscheinlich zu sein. Vielleicht finden sie vieles daran auszusezen, oder verwerfen sie dieselbigen völlig? Ich bin auch damit zufrieden. Denn ich bin bereit, eine bessere Meinung sogleich mit der meinigen zu vertauschen, und sie der Wahrheit aufzuopfern.
Daß man aber solche Haarkugeln, wie viele gethan, und noch thun, unter die Klasse der Bezoare rechnen, und ihnen eben das Lob ertheilen will, als jene in der Arzeney durch die Erfahrung erlangt haben, das kan ich noch nicht einsehen. Dann wer wird gerne die mit gekauten Futter vermengte Wolle für Bezoarpulver verschlucken mögen? Die Substanz des wahren Bczoars, kommt mit der Substanz solcher Aegagropilarum, oder Haarkugeln gar nicht überein; da jene aus terrestrischen Theilen, diese aber aus Wolle und gekautem Futter bestehet.
Das seltenste bei dieser Beobachtung ist erstlich die Zahl der Kugeln, zweitens, daß in einem so inngen Thiere, in einem Lamme von dreiviertel Jahren, 15. derselben ohne Schaden bleiben konten; drittens ihre schöne, runde und glatte Gestalt, und daß viertens wenige, oder gar keine Beispiele sich aufgezeichnet finden, daß jemals in einem Lamme dergleichen Kugeln angetroffen worden sein. Dann auch selbst Titel Herr Hofrath Trew versicherte mich, daß ohngeachtet der grossen Belesenheit dieses so weitberühmten Naturforschers, demselben noch kein einiges Beispiel von Lammskugeln zu Gesichte gekommen wäre. Es ist auch anmerkungswürdig, daß dem ganzen Mezger- oder Fleischerhandwerke bei Mannsgedenken, dieser Fall noch nie unter die Hände gekommen, noch von einem unter ihnen ein Lamm mit dergleichen Kugeln geschlachtet worden ist.
Erklärung der XXXIII. Kupfertafeln.

Titel der Tafel: Eine leichte, runde und sehr dunkelbraune Kugel.
Gefunden wurde die Kugel im Magen eines geschlachteten Lamms und die Vergrößerung zeigt, dass es sich offenbar um eine Haarballenl handelt. Die wissenschaftliche Sensation dabei war, dass Bezoare im Lamm-Magen selten waren, aber hier noch 14 weitere im Magen des Lamms gelegen hatten. Heute würde man sie Bezoare nennen, damals aber hatte der Begriff Bezoar eine andere Bedeutung – Haarballen fielen nicht darunter.
Bild aus: Der Mikroskopischen Gemüths- und Augenergötzung Drittes Fünfzig

Die erste Figur stellet die Kugel in ihrer natürlichen Gestalt, Größe und Farbe vor.
Die zweite Figur zeigt ein Viertel derselben, um die Dicke der Rinde und den innern Filz anzuzeigen, der aus kurzgekauter Wolle bestehet.
a. Jst etwas weniges von dieser Wolle mit dem blosen Auge,
b. aber durch das Suchglas betrachtet.
Die dritte Figur gibt etwas weniges von dieser Wolle durch das Vergrößerungsgläschen Numer 1. beobachtet zu erkennen, wo die kleinen Theilchen das gekaute Futter anzeigen.
Die vierte Figur macht ein einiges solches Wollentheilchen bekannt, das durch Numer oo. als die höchste Vergrößerung im Handmikroskop beobachtet, abgezeichnet worden ist.

Nota

Zur Vollständigkeit dieser Beobachtung muß ich Ihnen noch einen Auszug des leztern Schreibens mittheilen, das ich von des Herrn Geheimen Rath Wagners Hochwohlgebohrnen aus Baireuth erhalten habe:
Heute haben mir auch Ihro Hochfürstl. Durchl. die an Sie geschickte Kugel aus einem Lamms-Magen, nebst der Beschreibung zugeschickt, um solche in das Naturalienkabinet zu legen. Sie ist sehr schön, und wann die Abbildung davon nicht in Dero Mikroskopische Nachlese kommt, so bitte ich mir einen Abdruck davon aus. Ew. ec. irren Sich aber, wann Sie glauben, daß dergleichen von einem Lamme nicht existiren; dann in unserm Cabinet ist wirklich eine aus einem Lammesmagen, doch sind die Nürnbergischen wegen ihrer Menge und exakten Runde viel seltener und schöner ec
Baireuth den 16, Febr. 1763.
v. P. C. Wagner.

Ich muß gestehen, daß ich in der kurzen Zeit, die ich in dem Hochfürstlichen Naturalienkabinet zugebracht, und welche ich zu andern Geschäften habe anwenden müssen, wegen der allda befindlichen grossen Menge von Naturalien diese Kugel nicht so genau bemerken konte, ohngeachtet mir sehr viele andere, grosse und kleine See- und Meerballen, Haarkugeln, Aegagropilae und Bezoars aus verschiedenen Thieren daselbst unter die Hände gekommen sind.
Da aber dieser Lamskugeln sonst noch nirgend gedacht worden, auch in des Seba grossen Naturschaze so wenig, als irgend in einem andern Musäo, eine Abbildung, oder Meldung davon zu finden ist, da doch in demselben fast alle andere mögliche Kugeln, Ballen und Bezoare beschrieben und abgezeichnet sind; so ist und bleibt es daher allemal eine Seltenheit, und ein besonderer Fall, 15. derselben Kugeln in einem einigen dreivierteljährigen Lamme gefunden zu haben.

Ich beharre ec.