Stichworte: Historie, Ledermüller, Mikroskopie, Bewie's Mikrowelt
Mikroskopische Beobachtungen an der Kalbs- und RindszungeMikroskopische Beobachtungen an der Kalbs- und Rinds-Zunge hat Ledermüller hier angestellt.
Malphigi hat mir Gelegenheit gegeben, die Zunge, dieses edle Werkzeug des Geschmacks, ebenfalls mit dem Vergrösserungsglase zu betrachten, und ich habe so viele Beobachtungswürdige Theile daran gefunden, daß ich sie ohnmöglich allein diesen meinen Ergötzungen mehr vorstellen kan, sondern bis zu einer andern bequemern Zeit und bessern Gelegenheit, verspahren werde.
Nun wolte ich zwar gerne der freundschaftlichen Anweisung folgen, welche mir in dem dritten Theil der gesellschaftlichen Erzählungen, zu meiner verbindlichsten Danknehmigkeit gemachet worden, nnd meinen g.L. gar nichts aus gelehrten schriften, sondern lauter Mikroskopische Handgriffe vorsagen.
Da ich aber nun schon an dem Ende dieses Werkgens stehe, so will ich erstlich nicht gerne meine bisdaher beobachtete Einrichtung verändern, sodann aber auch verschiedenen von meinen g.Lesern keine Gelegenheit damit geben, über mich zu klagen; sintemahlen ich verschiedene ansehnliche Herren Liebhabere kenne, welche keine Gelehrte sind, gleichwolen aber es gar gerne sehen, wenn sie in diesen Blättern etwas aus dem Reiche der Gelehrsamkeit finden, das sie begreiffen, leicht fassen und die Endursachen mancher Dinge daraus entnehmen, Gottes Weißheit und Allmacht aber um so gründlicher hernach preisen und bewundern können. Damit ich aber auch werkthätig zeige, daß mir obgedachter gute und wohlgemeynte Rath nicht gleichgültig bis daher gewesen, so habe in dieser Ausgabe schon angefangen, die Beobachtungen eines Leuwenhoecks und Malpighi, so viel an mir ist, zu prüfen, und ich überlasse meinen g.L. und dem ganzen unpartheyischen gelehrten Publico zu beurtheilen, ob die Aeltern oder Neuern den Vorzug verdienen, wann man Leuwenhoecks Aalschuppe und Malpighi Zeichnung der Zunge, mit meiner 93. und 94sten und künftigen Kupfertafeln zu vergleichen und gegeneinander zu halten, sich gefallen lassen wollte.
Um also nach Möglichkeit mich jedem meiner g.L. gefällig zu machen, so will ich vorläufig nur einige Worte von der Ursache des Geschmacks anführen, ehe ich die Erklärung der 94sten Tafel selbsten beschreibe.
Die Zunge bestehet aus verschiedenen Stücken, und sie ist auf zweyerley Weise zu betrachten. Erstlich nach ihren äusserlichen, zweytens nach ihren innerlichen Theilen; beede aber sind vortreffliche und würdige Gegenstände für das Mikroskop, und machen einem Liebhaber der Naturkunde genug zu schaffen.
Nach der ersten Betrachtung siehet man auf der Obernfläche der Zunge (ich meyne Kalbs- oder Rindszungen) dreyerlei kleine Erhöhungen, als Hacken, Warzen und Pfifferförmige. Diese werden Papillen genennet.
Die Hackenförmigen bedecken mehrentheils den vordersten und grösten Theil der Zunge, und man empfindet ihr elastisches Wesen und rauhes Krällen, wenn man mit der flachen Hand vom Rucken der Zunge gegen die Spitze fähret. Die Ursache davon werde ich unten besser und umständlicher anzeigen, wann ich ihre Gestalt beschreibe. In der Mitte, an den Seiten, auch an der untern Haut der Zungenspitze, sitzen die runden Papillen, so durch das Vergrösserungsglaß denen Pfiffern oder Erdschwämmen ähnlich sehen, und mit kleinen Schweilßöchlein, oben auf ihrer obersten Fläche, bedeckt sind. Hinten an der Wurzel der Zunge, ist die dritte Art, welche von beeden erstern ziemlich unterschieden ist, und in einem Ring vertieft stehen, der gleichsam einen kleinen Graben um sie formiret. Sie scheinen aus fünf Blättern oder Theilen, wie eine geschlossene Rose zusammengesezt zu seyn, und haben in der Mitte eine kleine Vertiefung.
So siehet der obere Theil oder die Hechelhaut der Zunge aus. Ziehet man nun diese herab, so folgt die schleimhaut, in welcher man die Gänge zu denenhornförmigen spitzen sehen kan. Unter dieser aber liegt noch eine andere, welche Nezförmig und durchsichtig ist, und der pelzichten substanz an den Citronen und Pomeranzen, so zwischen der äussern gelben schaale und dem Marke liegt, ziemlich gleichkommt. Nach dieser folgt ein gar dünn und zartes mit feinen Blutgefässen durchwirktes Häut chen, und endlich das aus Fiebern, Nerven und Mäusgen bestehende Fleisch, welches anderst vorn an der Spitze, wieder anderst in der Mitte und auch am hintersten Theil der Zunge, beschaffen ist.
Alle diese Werkzeuge aber dienen mehrentheils zur Beförderung des Geschmacks, wiewohlen auch einige die verschiedene Bewegungen, Krümmungen und Wendungen der Zunge verursachen. Daß wir aber schmecken und einen so grossen Unterschied im Geschmack haben, geschiehet eben durch die Papillen, und den in ihnen verborgenen Saft, welcher die Körper die wir auf unsere Zunge nehmen, auflöset.
Gleichwie nun der Geschmack von nichts anders als dem Gefühl, wie alle unsere übrigen Sinnen, entstehet, welche gleichsam in einem einigen nemlich dem Gefühle, bestehen, also bewürken auch die Salze durch das Gefühl oder Tactum, auf unserer Zunge den Geschmack.
Ein jeder Körper, wenn er aufgelößt ist, und kein Salz hat, wird auf unserer Zunge keine andere Wünkung hervorbringen, als auf der Hand oder andern Theilen der Haut. Wir unterscheiden zwar das Gewicht, den Druck, den Schmerzen, die Lindigkeit oder Härte und Rauhe, Kälte, Hitze und dergleichen, sobalden aber salzigte Körper unsere Zunge berühren, so entstehet diejenige Empfindung die wir den Geschmack nennen, und der von allen andern Empfindungen unterschieden ist.
Hieran ist aber nicht das salz alleine schuld, sondern diejenige Feuchtigkeit, welche in denen Papillen unserer Zunge steckt und saliva genennet wird. Dann wenn auch ein trockenes Stück Salz, Alaun, Salpeter u.d.g. an die Zunge kommt, so wird man nicht ehender einen Geschmack davon spüren, bis so viel saliva aus unserer Zunge hervor gedrungen, als zur Auflösung desselben nöthig gewesen, um hernach in die Poros der Pavillen zu dringen.
Daß aber das Salz so ausserordentlich kleine Theilchen habe, welche geschickt sind in die kleinen Löcher der Papillen einzugehen, wissen wir aus denen bisherigen Mikroskopischen Beobachtungen an verschiedenen aufgelößten Salzen. Je mehr nun von dem ganzen Körper aufgelößt wird, destomehr kan in die Papillen eindringen und desto stärker wird dann auch der Geschmack.
Einige glauben zwar die mancherley Gestalten und Figuren der salze verursachten die Veränderungen und Mannigfaltigkeit des Geschmacks, alleine da die salze nicht ehender würken, als wann sie aufgelößt sind, und in der Auflösung keine Gestalten und Figuren, sondern durchaus Eyrunde Theilchen zu sehen sind, so lang die Auflößung flüßig ist, überdieß auch ein todtes und unschmackhaftes Salz dennoch seine Figuren hat, so läßt sich daher billig an obiger Meynung zweifeln.
Es würken aber die Salze auf der Zunge, in denen Papillen, verschiedener massen, und zwar entweder nur auf einen Theil derselben, oder sie umgeben die Papillam völlig und solchergestalten dringen sie entweder ganz durch, bis auf die Nerven, oder sie ziehen nur die Oberfläche zusammen. Wann sie nun bis auf die Wurzeln der Nerven würken, so wird man nebst dem Geschmack auch einen schmerzen empfinden, dahingegen die Empfindung des Geschmacksweit gelinder ist, wenn nur der obere Theil der Papillen, von dem Salze durchdrungen wird.
Daß aber ein jeder Geschmack nicht bis auf die Nerven würke, ist daraus zu entnehmen, weilen derselbe öfters gar zu geschwinde wieder vergehet, würde er aber bis auf die Nervenhaut der Zunge hinunter würken, so müste auch die Dauer derselben länger anhalten.
Oder aus dem vortrefflichen Hamberger mich zu erklären, so geschiehet die Würkung entweder äusserlich oder innerlich. Aeusserlich per adhaesionem wenn sich die Salztheilchen nur an die Haut der Zunge anhängen, innerlich aber, wenn sie sich mit der Saliva vermischen, und die Ringförmigen Grübchen der Nervenpapillen zusammenziehen, da die ganze Papille kürzer, kleiner und der Nerve zusammen gezogen oder gespannt wird, welches natürlich mehr Empfindung verursachen muß. Es ist aber auch der Geschmack nicht bey allen Menschen einerley, denn anderst wird er sich bey Kindern, anderst bey Erwachsenen und alten Leuten finden. So haben auch die Tobackschmaucher ingleichen die Wein- Bier- und Wasser-Trinker nicht einerley Empfindung von diesem Sinn.
Man pflegt im gemeinen Sprichwort zu sagen: De gustibus non est disputandum. Diesem kan man leicht alles versalzen: Oder jenem kan man nicht genug salzen. Und so kommt diesem etwas widerwärtig vor, welches einem andern angenehm schmecket.
Nun fragt sichs noch, auf welchem Theil der Zunge, der Geschmack am stärksten empfunden werde? Es sey ferne von mir, daß ich alle Meynung hievon anführen sollte. Ich begnüge mich, wegen Enge des Raums, nur kürzlich anzumerken, daß nach vielen angestellten Erfahrungen befunden worden, daß die gröste Empfindung auf der Spitze der Zunge vorgehe, in der Mitte derselben aber länger anhalte; welches Hamberger an verschiedenen Personen mit feinen Haarrörchens versuchte, denen er von der Pinpinellessenz auch Arkano Tartari, etc. einige kleine Tropfen auf die Mitte und die Wurzel der Zunge und deren Spitze fallen lassen, welche hernach alle darinnen übereinstimmten, daß der Geschmack stärker auf der spitze gewesen, länger aber auf der Mitte derselben gedauert habe. Welcher Unterschied wohl nichts anders als der veränderten Strucktur der Papillen, zuzuschreiben ist.
Endlich ist bekannt, daß der Geschmack gar verschieden ist, nur der gewöhnlichsten zu gedenken, als:
1. sauer, 2. alkalinisch, 3. salzicht, 4. süß, 5. bitter, 6. urinos, 7. gewürzt, 8. streng, 9. herb, 19. modericht 11. todt, 12. geistig und andere mehr.
Die gütige Natur hat diese Mannigfaltigkeit sehr weißlich bestimmet, damit besonders das Vieh diejenigen Speisen dadurch unterscheiden möge, die ihme nüzlich und schädlich sind, und zudem Ende hat es auch so starke und grosse Papillen die wir Menschen nicht haben. Woraus zu schliessen, daß das Vieh einen viel schärffern Geschmack haben müsse als der Mensch. Und es hat daher eine so bewundenswürdige Zunge, weilen es frisch Graß, Wurzeln und Kräuter frißt, dessen salztheilchen schärfer sind. Welche Allmacht, welche unbegreifliche Tiefe der Göttlichen Weißheit strahlet uns nicht aus dieser einigen Betrachtung entgegen!
Was für ein Geheimnusvolles Chymisches Laboratorium, welche Wundervolle Fabrik der Elementen, eröfnet sich hier nicht unsern Augen! Wir können nichts als den schatten davon sehen, das übrige wie es möglich seye, daß die aus denen Papillen dringende Feuchtigkeit oder Saliva die Salztheichen so geschwinde, ja schneller als in einem Augenblick auflöße, und durch die ganze Zunge würkend mache? Bleibt vor unsern Augen und Einsichten verborgen, und wir müssen auch hier klagen!