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Noch einige andere Schlammthierchen, so unter dem Namen gesellschaftlicher Polypen bekannt sind
Bild aus: Ledermüller, Mikroskopische Gemüths- und Augen-Ergötzungen, Tafel 88

Noch einige andere Schlamthierchen, so unter dem Namen gesellschaftlicher Polypen, bekannt sind.
Bei diesen „gesellschaftlichen Polypen“ handelt es sich offensichtlich um Stentoren, Glockentierchen und Rädertierchen, von denen etliche Spezies gerne in Gruppen – also in Gesellschaft – auftreten. Hier Ledermüllers originale Beschreibung:
Mit so wenig Grund die Federbuschthierchen Polypen genennet werden, mit noch wenigern Recht kan man, nach meiner Meynung, die auf gegenwärtiger 88sten Kupfertafel befindliche Kreaturen, Polypen heissen. Es sind durchgehends gesellschafftliche Schlamthierchen, von denen nicht ein einiges mit einem Fuß, geschweige mit vielen, begabet ist. Nur einige wenige haben schwänze, die übrigen aber sitzen mehrentheils auf feinen Rohrstielen, von denen sie sich absondern und wiederum darauf begeben können, wie ich gleich deutlicher zeigen werde.
Zeit und Raum verstatten mir nicht, umständlicher zu seyn, daher will ich sogleich die Erklärung dieser Kupfertafel, mit vor die Hand nehmen. Die Gesellschaftlichen Schlamm – oder Coloniethierchen, siehet man gemeiniglich wie ein kleines Klümpgen schleim, oder Schimmel an Meerlinsen, Wasser, Graß und Moose hangen. Wie bey a. und b. in natürlicher Gestalt und Größe zu sehen. Dann hängen sie sich auch an lebendige Kreaturen, an die kleinsten Wasserschnecken 1. Wasserflöhe 2. auch Wasserkäfer 3. und saugen sie so lange aus, bis sie zu Grunde gehen.
Ich will mit dem sogenannten Trompeten- oder Schalmeyemthierchen den Anfang machen, welches gemeiniglich unter denen Meerlinsen sich aufzuhalten pflegt. Wie d. natürlich, e. aber unter dem Suchglase vergrössert, zu erkennen giebet. Ich würde ein ganzes Buch schreiben müssen, wenn ich eines jeden Eigenschaft beschreiben sollte. Genug, daß ich hier ein jedes auf das genaueste abgebildet und meinen g.L. kennbar gemachet habe.
f. und g. stellet durch Numer 3. vergrössert das Keulenförmige Schlamthierchen vor, und zwar zeiget f. die jungen und g. die alten, nebst der Art wie sie die Speise durch einen Wirbel an sich zu ziehen pflegen. Es wohnt ebenfalls Colonienweiß beysammen, und man siehet deren öfters zu vielen hunderten auf einen Haufen. h. ist eben dieses nach der höchsten Vergrößerung mit etwas verschlungenen Meerlinsensaamen und drey rothen Punkten, deren Endzweck ich aber nicht zu bestimmen mir getraue. Man siehet die Jungen f. öfters für die Schallmeyenthierlein an, die ich vergrössert mit i. und k. abgebildet habe, und deren Oefnung am Munde ringsherum mit feinen Haarspitzen besetzt ist. Diese Schallmeyenthierlein können sich auch zusammenziehen und eine ganz andere Gestalt annehmen, daher sich wohl in acht zu nehmen, daß man sie nicht mit andern vermische.
Denn das Glocken oder Becherförmige Thierlein 1. das ebenfalls etliche feine Haarspitzen führet, hat viel ähnliches mit dem Schallmeyenthierlein, nur mit dem Unterschied, daß es auf einen besondern Stiele wohnet, von welchem es sich aber wie das Dürenförmige oder Rehfußähnliche Thierlein m. loßmachen und ohne diesen stiel n. seinen Spiralgang fortsetzen kan. Alle diese und übrige Coleniethierchen wohnen mit Haufen beysammen, so wie hier die Stachel- oder Kreuzbeerförmige Thierlein mit o. abgebildet sind, und von denen p. p. ein Paar besonders, mit ihrer Art zu schwimmen, vorstellen. Auf eine andere Weise sitzen die von Rößeln betitelte Berbers Beerförmige q. dann die Mispelförmige t. und die Deckelthierlein vv. bey einander auf Wohnungen, welche von hohlen Röhrichens zusammen gesetzet sind. Von denen sie abgehen r. und die Stiele zurücke lassen s.s. auch mit sich fortschleppen können l und m. v.
Das Mispelförmige verändert sich gar oft, wie t. u. und v. zu erkennen giebt und hat ebenfalls sehr zarte Haarspitzen an dem Umkreiß seines Mundes, so wie auch das Deckelthierlein, welches anfänglich die Gestalt einer Zitrone hat, wenn es geschlossen ist. Siehe Figur y. So es sich aber öfnet, so gehet ein stempfel heraus, auf dessen oberste Spitze ein kleiner Teller oder eine Eyrunde Platte liegt, die ebenfalls ringsherum mit diesen Haarspitzen versehen ist vv. Ziehet es denn diesen Teller etwas hinein, so siehet man nur dessen Haarspitzen; und die runde Mündung formirt sich in eine ausgekapte Crone x. Wenn es aber die gedachte Platte gänzlich einziehet, so kan man oben hinein gleich in einem Becher sehen z.
Ingleichen kan es sich, wie die übrigen Coloniethierlein von seinen Rohrähnlichen Stiel, loßmachen und wieder darauf setzen, auch solchen dergestalt mit sich anklebend fortschleppen, daß man ihn öfters für den schwanz dieser Kreaturen an siehet. Die Haarspitzen aber, so um dessen Mund stehen, bewegt es dergestalt geschwinde und vipperend, daß sich das Auge darüber verliehret.
Wann Liebhabere diese Kreaturen bald finden wollen, so dörfen sie nur anfänglich grössere Insekten mit dem Heber aus dem Zuckerglaß schöpfen, als Schneckchen, Pücerons, Käfer, Traubenträger c. und darunter solche besonders aussuchen, welche entweder hinten am Rucken oder unten am Bauch auch an den seiten, etwas schleim oder einen kleinen grauen schimlichten Punkt hängend haben, wie Fig. a. b. auch c 1. 2. 3. auf dieser 88sten Tafel an Handen giebt. sehen sie nun dergleichen schleimigte Wasserthierchen, so können sie gewiß glauben, daß der graue Punkt sowohl an Meerlinsen als schlammthierchen, nichts anders als eine Colonie solcher gesellschaftlicher Wasserkreaturen seye. Nur gehört Gedult und Zeit dazu, wenn man besonders die Federbusch oder Blumenpolypen erhalten will. Finstere Spötter! Lachen Sie nur nicht über diese Anweisung! Ich glaube noch immer, daß derjenige, welcher ein unbekanntes Geschöpf zur Ehre seines Schöpfers entdecket und in demselben eben den wunderbaren Bau gleich in den Menschen, zugleich aber die unbegreifliche und ohnendliche Allmacht und Weisheit des Ewigen Alls dabey in tiefer Ehrfurcht bewundert, eine weit nützlichere Arbeit unternommen, als ein solcher, welcher nach vielen schlaflosen Nächten und zerbissenen Federkielen, die unvergleichliche Frage beantwortet hat: Von welchem Zeug oder stof, Methusalem seine schlafmütze getragen habe?