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Zweyerley Arten Federbuschpolypen
Zweyerley Arten Federbuschpolypen
Bild aus: Ledermüller, Mikroskopische Gemüths- und Augen-Ergötzungen, Tafel 87

Schon Rösel von Rosenhof hat sich ausgiebig mit den „Federbuschpolypen“ beschäftigt. Auch Rösels Zeitgenosse und Freund Ledermüller hat diese Tierchen beobachtet und gezeichnet. Es handelt sich dabei um Moostierchen (Bryozoen). Hier Ledermüllers ausführlicher Text zur Tafel, der freilich einige Fehleinschätzungen erkennen lässt:

Indem ich eine Materie, die schon von so vielen andern Naturforschern zur Genüge behandelt worden, in diesen Blättern weitläufig vorzutragen gar nicht gemeinet bin; gleichwolen aber auf verschiedener Liebhaber Verlangen, alles dasjenige, was ich von Polypen gesehen und bemerket, mit anbringen sollen, so ich nun mit dieser und folgenden 87sten Kupfertafel die Beobachtungen von Polypen, indem ich nur noch auf das kürzeste, die sogenannten Federbusch- und Coloniepolypen, beschreiben und vorstellen werde.
Auf dieser 87sten Tafel siehet man daher zweyerley Sorten von denen sogenannten Federbuschpolypen, welche Herr Backer das Glockenblumenthier, andere den Manschettenpolyp, und wieder andere den Blumenpolyp geheissen haben. Um aber die Art desto deutlicher an die Hand zu geben, wie diese Kreaturen aus dem Wasser zu holen sind, so zeigt sich hier bey a. ein Uringlas, welches ich von darum gerne gebrauche, weilen dasselbe, wenn es mit Wasser angefüllt ist, schon selbsten die darinn befindlichen Thierchen, wegen seiner kugelförmigen Gestalt, in etwas vergrössert, so mit besser erkennen lässet. In dieses wird ein kleines gläsernes weises Rohr c. gelassen, und damit so verfahren, wie man mit jedem Heber zu verfahren pflegt. Dann wann mit dem Daumen b. das Wasser eingelassen worden, so zieht sich der Polyp d. der zuvor auf dem Grund des Glasses oder an einem Schlammgras f. gesessen, in die Röhre, von da man das darinn befindliche Wasser, nebst dem Polypen, in ein anderes kleines doch sauberes Glas, bringen kan.
Hier in diesem Glase a. habe ich nun die erste und gemeinste Art des Blumenpolyps durch die Buchstaben d. und g. vorgestellet. Die andere und seltenere Sorte aber, ist mit dem Buchstaben e. und f. angezeigt, welche sich nur in Ansehung ihrer Wohnung oder Körpers, von der ersten hauptsächlich unterscheidet. Erstere bestehen aber aus zwey Haupttheilen, als 1. dem Körper und 2. aus denen darinnen befindlichen lebendigen Kreaturen. Ich will hier nicht bestimmen, ob man sie mit Recht Polypen nennet? Wenn man das Gehäuse h. g. selbst für den Polypen und die Thierchen h. n. x. vv. für die Arme oder Füsse desselben nimmt, so mag dieser Name statt finden: Da ich aber überzeugt bin, daß ein jedes dieser Kreaturen, wie bey n und x. zu sehen, für sich besonders leben, wandeln und schwimmen kan, ohne daß man nur die mindeste Spur von einem Fuß oder Arm daran siehet, so muß vor allen erst die Frage entschieden werden: Ob diese lebendige Wesen eigene für sich bestehende Kreaturen oder nur Theile von einem ganzen sind? Und ob die braune Röhre g. h. H. ein würklich lebendiger Körper oder nur ein Gehäuß oder Zelle ist so diese Kreaturen n. x. zu ihrer Wohnung gleich andern dergleichen gesellschaftlichen Thierchen selbsten, zusammen getragen und gebauet haben? Ich meines wenigen Orts glaube das letztere, ohngeachtet Trembley und andere, Eingeweide in diesen Zellen wollen gesehen haben, welche eine peristaltische Bewegung zeigten.
Man siehet zwar solche Theile darinnen, welche für Eingeweide gehalten werden könnten; Alleine der seel. Herr Rösel von Rosenhof hat mit mir gar oft diese Theile genau untersucht, und wir haben nie diejenige Eigenschaften an ihnen entdecken können, welche z. E. dem Magen oder einem Darm, zukommen. Denn unter so vielmaligen Versuchen, ist mir nie zu Gesichte gekommen, daß etwas Speise in der gleichen Theile gekommen, ohngeachtet die Blumenpolypen sehr gefräßig sind. Ich habe hier diese vermeyntlichen Eingeweide mit q. und r. die braune und grüne Speise aber mit p. bemerket, als welche lediglich in die grosse Hauhtröhre des ganzen Gehäuses h. H. zu fallen pflegt, und die vielleicht der Sammelkasten ihres zusammengetragenen Vorraths seyn mag.
Herr Rösel war daher ebenfalls mit mir der Meynung, daß dieser Corallenzinkenförmige Stock nichts anders als das Gehäuse oder die Wohnung der Blumenthierchen seye, welcher in verschiedene Zellen und Wohnungen ausgetheilt ist. Nach dieser Meynung, welche ich aber niemanden aufbürden will, wird also meine obige Eintheilung statt finden können.
Was nun die Thierchen selbsten betrift, so sind sie an diesem ihren Stock, in verschiedene besondere Colonien vertheilt, wie bey i. zu sehen, und haben dabey die Eigenschaft, daß sie sich von dem Haubtstock loßmachen, absondern, und einen eigenen einfachen strauß oder einzelne Colonien, für sich formieren können. So zeigt g z.B. einen Stock von 3 Colonien, in natürlicher Grösse, h. hingegen hat deren neune, und zwar durch Numer 5. unter dem zusammengesetzten Mikroskop betrachtet.
Die Materie woraus der Stock selbsten bestehet, ist sehr schleimicht, sulzicht oder wässericht und zerfließt gar bald, wenn er auf ein trockenes Glas gebracht wird. Er scheint vom blossen Schleim oder verfaulten Wurzeln und dergleichen zusammengesetzt zu seyn, so wie etwan die Gehäuse des Röhrleinsthierchen. Doch ist er durchsichtig, und man kan die Speise gar deutlich hineinfahren auch darinnen liegen sehen, massen öfters der ganze Canal mit braunen und grünen Körnern angefüllt, welches nichts anders als der saame von Meerlinsen, der unten an dem Blat befindlich und braun siehet, die grünen Körner aber, die Meerlinsenblüthe ist, so am Ende der Stiele hänget. Durch ein gutes Mikroskop kan man deutlich erkennen, daß dieser Canal noch einen andern in sich schliesse, wovon der äussere viel zärter und durchsichtiger, der innere aber hellbraun siehet.
Er bestehet ferners aus verschiedenen besondern Aesten, deren jeder einen eigenen schwarm von Polypen enthält. Ich habe mit H. einen solchen stock von vier Aesten, stark vergrössert, abgebildet, so wie man ihn durch Numer 2. beobachten kan. Diese vier Aeste zeigen sich in viererley Veränderung, mit ihren Colonien. Ein jeder Ast aber bestehet an seinem äussersten Ende aus einem sehr durchsichtigen breiten Ring oder Halßband, siehe A. A. A. A. welches oben und unten mit einem Saum eingefaßt ist, und gleichsam das Handleim an der Manschette formiret. An diesem Halßband siehet man sogleich besser unten, die Theile q. r. welche Eingeweide seyn sollen. Herr Rösel hat sie für den Sammelplatz des Unraths gehalten. In dieser Zwinge oder in diesem Halßring wohnt nun die Colonie beysammen, und habe ich in mancher solchen Zelle, 40. 50. bis 60. dergleichen Kreaturen gezehlet. Wenn die ganze Zelle voll sich miteinander herausbegiebt und gleichsam wie der Pfau pranget, so kommen sie der Figur I. ähnlich; indeme sie sich aber wie bey K. einziehen, so siehet man gleichwie mit L. angezeiget worden, oben die Oefnung des Halsbandes und unter demselben die sich hinuntergesenkte Kreaturen, welch einzeln einem Kleisteraale nicht unähnlich kommen; sich aber auch in andern verschiedenen Wendungen und krummen Schlangenlinien sehen lassen. Sie machen öfters, wenn sie bey I. prangen, einen heftigen Wirbel im Wasser, und ziehen auf solche Art die kleinsten Pflanzentheilchen und Saamenkörner, wie in einen Trichter, in sich.
Wenn man sie suchen will, so muß man sehr stille und ruhig dabey sitzen und sich ja keine Gedult verdrüßen lassen; denn bey der allergeringsten Bewegung ziehen sie sich in ihre Zellen, und dann muß man lange warten, bis man sie wieder zu sehen bekommt.
Auch thut man sehr wohl, wenn das Uhr- oder Zuckerglas also in die Höhe gestellet wird, daß man von unten hinauf die Meerlinsen mit dem suchglase beobachten kan. Denn alle diese und andere Schlammthierchen, hängen mehrentheils an dem untern Theil oder Boden der Meerlinse, weil da der Saame hängt, von welchem sie sich nähren; besonders ist sich zu hüten, daß das Glas auf keinen Tisch oder Platz gestellet werde, der wanket, denn sie sind sehr empfindlich und spühren auch alle Tritte, wenn man im Zimmer herum gehet.
Im May, Juny, July und August finden sie sich am gewissesten; zuweilen setzen sie sich auch an die innern Wänden des Glaßes, wenn es schleimicht werden will. Zerschneiden lassen sie sich nicht, wohl aber zertheilen sie sich selbsten, und setzen auch junge stöcke ab.
Ihre Farbe ist weiß, wie ein feiner Zwirnfaden. Sie schwimmen einzelne sowohl, als zu Colonien, im Wasser herum; begeben sich aber bey der geringsten Bewegung sogleich wieder zusammen in ihre Zelle, auf ihren Kiel der in dem Ring oder Halßband stehet; und verbergen sich darein in möglichster Geschwindigkeit.
Die zweyte Art ist viel schwehrer zu finden, als die erstere; denn der braune stock oder Corallenzinke, der die ersten kenntbar macht, ist bey diesen nicht zu sehen sondern statt desselben ein gar kleines fast rundes Klümpchen Schleim, das ehr blaßbraun auch öfters nur weißgelb, siehet. Dieses macht den Körper, oder den Bau und Stock der Blumenpolypen von der zweyten Art aus. Man siehet auch keine besondern Arme noch Armbänder daran, sondern nur gar kleine hervor, sprossende Knospen, woraus sie ihren Blumenstrauß oder Federbusch hervorstrecken. So viel ich weiß, hat diese Art niemanden noch als Herr Rößel beschrieben, und ich habe sie zum erstenmal bey ihme zu Gesichte bekommen und kennen lernen, da ich dann alle Jahr aus dem hiesigen sogenannten Nonnengarten im St. Catharinen Kloster und dessen Weyher, welche gefunden. Ihre Größe ist, wie schon erwehnt, Figur f. f. auf dieser 87sten Kupfertafel natürlich abgebildet, wiewohl noch etwas zu groß, sie liegen mehrentheils auf dem Boden des Glasses im Schlam, und wenn man nicht alle Gedult anwendet, ihre Hervorbrechung abzuwarten, können sie gar leicht übersehen werden. Ihr Körper ist in der Mitte dunkler als an dem Umkreiß, und hat verschiedene Flecken wie bey v. zu sehen, doch nicht bey allen. Ich habe diese Flecken für ausgesaugte Hülsen ihrer Speise gehalten. Ihre Federbüsche sehen auch anderst aus, als die von der ersten Art, und formiren mehrentheils ein paar Flügel, sonst aber auch einen Büschel weiser Bänder oder Blätter, und zuweilen eine Handkrause, Manschette oder einen Federbusch. Ich habe verschiedene Gestalten derselben, so wie ich sie genau beobachtet, getreulich abgebildet, wie z. B. bey t. tt. u. und v. zu sehen.
Ihre Flügelähnliche Zusammenfügung bemerkte ich besonders mit den Buchstaben vv. W. und ihre einzelne Bewegung und Gestalt mit x. und bestehet ein jeder solcher Flügel, aus einer gedopelten Reihe Kiele, an welcher zu 3o. bis 4o. auch mehr dieser Kreaturen beysammen sitzen.
Manche von diesen Kugeln hatte 10. bis 11. Knospen oder Zellen, zuweilen aber fande ich einige nur mit drey oder vier solchen Wohnungen. Zerschneiden lassen sie sich eben so wenig als die erstern. Wenn die Flügel oder Büsche eingezogen sind, siehet man die Kugel selbsten dunkelbraun, wenn sie aber ausgebreitet sind, so ist sie sehr helle und durchsichtig, und man kan alsdenn erkennen, daß sie aus lauter feinen kleinen Körnern zusammengesetzt sind, welche hier nur mit Punkten angezeigt werden können.
Keine Insekten fressen sie, sondern das allerfeinste Gesäme, so im Schlam verborgen liegt. Es ist sehr schwehr, lange Beobachtungen und Erfahrungen mit ihnen anzustellen, denn im klaren Wasser sterben sie bald, und zerschmelzen gleichsam, daß man nichts von ihnen mehr findet, läst man sie aber über acht Tage im Schlamwasser, so werden sie von denen kleinsten Wasserläusen zernichtet.
So weit die Beobachtungen Ledermüllers. Viele davon sind zweifellos richtig, aber in einem grundlegenden Punkt liegt er völlig falsch: Er hält ganz offensichtlich die Tentakelkrone für die Kolonie und jeden einzelnen Tentakel für ein selbständiges Lebewesen. Möglicherweise hat er abgebrochene oder abgerissene Tentakel gesehen, die noch eine Zilienaktivität entwickeln und damit ziellos herumschwimmen können und daraus den falschen Schluss gezogen. Denn tatsächlich gehört jede Tentakelkrone mit allen Tentakeln einem einzigen Tier.